Landwirtschaft
Nanoagrochemikalien
In der Landwirtschaft verspricht der Einsatz von Nanomaterialien zur Schädlingsbekämpfung, in Düngemitteln, zur Verbesserung der Bodenqualität oder zur Erhöhung der Stresstoleranz von Nutzpflanzen eine verbesserte Wirkung und Effizienz. Da durch die Nanoskaligkeit die notwendige Wirkstoffmenge reduziert werden kann, ergeben sich auch potenzielle Vorteile für die Umwelt. Jedoch bestehen hinsichtlich möglicher Umweltrisiken noch erhebliche Wissenslücken (siehe Seitenbeginn: „Nanopestizide“).
Um einen Überblick über Nanomaterialien zu erhalten, die für landwirtschaftliche Zwecke eingesetzt oder entwickelt werden, haben Forscher*innen aus Italien im Auftrag des „European Union Observatory for Nanomaterials“ (EUON) eine umfassende Literaturstudie durchgeführt und dabei mehr als 3000 wissenschaftliche Publikationen hinsichtlich der Anwendungsbereiche, Expositionsszenarien und Toxizität von Nanoagrochemikalien analysiert. Eine Vielzahl von Nanopartikeln konnten dabei identifiziert werden, wie z. B. Zinkoxid, Eisen, Hydroxyapatit, Pyrit, Zeolith, Kupferoxid, Silber, Kohlenstoffnanoröhren, Siliziumdioxid, Titandioxid, Selen, Bor, Calciumphosphat, Manganoxid, Ceroxid, Gold, Aluminium, Kobaltoxid, Nickel und Schwefel. Auch „Nanocarrier“, neuartige Transport- und Verkapselungssysteme für Agrochemikalien aus verschiedenen Materialien, werden in der Studie beschrieben.
Trotz dieser Fülle an Nanomaterialien, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden können, gibt es mit Ausnahme der Biozidverordnung keine nano-spezifische Regulierung, kritisieren die Autor*innen der Studie. Sie empfehlen in der Verordnung für Pflanzenschutzmittel und in jener für Düngemittel ebenfalls explizite Vorgaben für Nanomaterialien und die Festlegung einer entsprechenden Definition. Ebenso sollte die Anmeldung von Nanomaterialien, die in Pflanzenschutz- oder Düngemitteln in der EU eingesetzt werden, verpflichtend sein und eine Eintragung in ein Register erfolgen.
Link zur Studie:
Urbani et al. (2024): Collection and review of information on nanomaterial-based and nano-enabled plant protection products, biocidal products and fertilising products.
Nanopestizide
Pestizide sind chemische Substanzen, die in der Landwirtschaft als Pflanzenschutzmittel eine bedeutende Rolle bei der Bekämpfung von schädlichen Insekten (Insektizide), Pilzen (Fungizide) oder Unkräutern (Herbizide) spielen. Neueste Forschungen aus dem Bereich der Nanotechnologie haben in den letzten Jahren großes Interesse geweckt, da mit deren Hilfe verbesserte Formulierungen entwickelt werden können.
Dabei geht es insbesondere um eine bessere Löslichkeit von an sich schlecht wasserlöslichen Chemikalien, um eine verlangsamte Freisetzung, sowie den Schutz der aktiven Substanzen vor Zersetzung, wie auch um zielgerichtete Wirkstofffreisetzung und um Reduktion der eingesetzten Chemikalienmenge.
Eine einheitliche Definition, was genau unter "Nano-Pestiziden" zu verstehen sei, fehlt derzeit noch. In der wissenschaftlichen Literatur werden darunter auch oft Materialien zusammengefasst, die größer sind als der Nanomaßstab von 1 bis 100 nm. Dieser wurde als Grundlage für eine Definition des Begriffs "Nanomaterial" von der Europäischen Kommission vorgeschlagen und auch bereits in einigen gesetzlichen Bestimmungen verwendet.
Bei den sogenannten "Nano-Pestiziden" handelt es sich um Mischungen von Pestiziden mit anderen Substanzen, die als Träger- und Verkapselungsmaterial eingesetzt werden. Zum Beispiel polymerbasierte Nanoemulsionen, etwa auf Basis von Polysacchariden oder Polyestern. Auch an Formulierungen auf Basis von Bienenwachs oder Lezithin wird geforscht, da diese Materialien biologisch abbaubar sind. Der Vorteil solcher Nanoemulsionen liegt vor allem darin, dass mit deren Hilfe die Löslichkeit schlecht wasserlöslicher Chemikalien verbessert werden kann und dass zu deren Herstellung eine geringere Menge an Tensiden notwendig ist, als für Mikroemulsionen.
Anorganische Nanopartikel werden für einen Einsatz als Wirkstoff erforscht. So etwa Siliziumdioxid (Silica), das die Toleranz von Pflanzen gegenüber verschiedenen Stressfaktoren erhöhen kann. Oder auch Titandioxid, dessen antimikrobiellen Eigenschaften seit langem bekannt sind, ebenso wie jene der Metalle Silber und Kupfer.
Ob "Nano-Pestizide" gegenüber herkömmlichen Pestiziden ein erhöhtes Umweltrisiko darstellen, lässt sich aufgrund der derzeit unzureichenden Datenlage nicht beantworten. Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Formulierung einen Einfluss auf Verbleib und Verhalten von Pestiziden in der Umwelt haben kann. Für die Abschätzung von Umweltrisiken von "Nano-Pestiziden" empfehlen Expert:innen jedenfalls die Entwicklung von geeigneten Versuchsprotokollen, Untersuchungen zur Bioverfügbarkeit und Beständigkeit, sowie die Evaluierung und allenfalls eine Adaptierung von derzeit angewandten Methoden zur Risikoabschätzung.
"Nano-Pestizide" sollten jedoch nicht nur hinsichtlich ihrer Risiken betrachtet, sondern auch die möglichen Vorteile nicht außer Acht gelassen werden. Etwa eine erhöhte Wirksamkeit, weniger Anwendungszyklen, die Reduktion der Exposition von Nicht-Ziel-Organismen oder die Gefahr von Resistenzbildungen.
Neue Pflanzenschutzmittel auf Basis von RNA
Pflanzenschädlinge verursachen große Verluste in der Landwirtschaft. Allein die jährlichen Ernteverluste durch Insekten und Milben werden auf 20 % geschätzt. Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel (Pestizide) werden deshalb in großen Mengen in der Landwirtschaft eingesetzt. Mit nachteiligen Folgen für die Biodiversität, das Grundwasser und die Böden. Zudem werden immer mehr Schädlinge resistent gegen die eingesetzten Substanzen.
Aus diesen Gründen besteht großer Bedarf an alternativen, umweltfreundlichen Pflanzenschutzmitteln. Eine Möglichkeit ist die sogenannte RNA-Interferenz (RNAi). Das Erbgut von Pflanzen und Tieren liegt im Zellkern in Form der DNA vor. Die „Boten“-RNA („messenger“-RNA, mRNA) dient dazu, den Bauplan von der DNA abzulesen und zu den Protein-produzierenden Zellorganellen (Ribosomen) zu transportieren. Andere Arten von RNA-Molekülen können sich an diese mRNA binden und verhindern, dass Proteine produziert werden. Gene werden also gleichsam ausgeschaltet. Das ist ein natürlicher Mechanismus, der ursprünglich im Laufe der Evolution von den Pflanzen entwickelt wurde, um sich vor schädlicher Viren-RNA zu schützen.
Die Methode, mittels RNAi Gene auszuschalten, lässt sich auch für den Pflanzenschutz nutzen. Es gibt bereits gentechnisch veränderte Nutzpflanzen wie z. B. Mais, in deren Zellen bestimmte „maßgeschneiderte“ RNA-Moleküle produziert werden, die nur gegen eine spezielle Schädlingsart wirken. Die RNA wird dabei vom Insekt mit Pflanzenteilen beim Fressen aufgenommen und verursacht dessen Tod durch das Ausschalten eines wichtigen Gens. Eine effektive, aber sehr umstrittene Methode des Pflanzenschutzes. Vor allem in Europa steht die Bevölkerung gentechnisch veränderten Lebewesen in der Landwirtschaft größtenteils sehr skeptisch gegenüber. Der gentechnisch veränderte Mais ist in Europa zwar zugelassen, wird derzeit aber nur in Spanien und Portugal angebaut. Österreich hat auf EU-Ebene eine Ausnahme erwirkt, sodass keine gentechnisch veränderten Nutzpflanzen angebaut werden dürfen.
Aber es geht auch anders. RNA-Moleküle, die ein Gen gezielt in einem bestimmten Schadorganismus ausschalten, können auch direkt auf die Pflanzen aufgesprüht werden. Die RNA wird dann von den Schädlingen aufgenommen, wenn sie Pflanzenteile fressen oder den Saft saugen. Das Spezielle daran ist, dass die RNA nur bei einer ganz bestimmten Schädlingsart wirkt. Die Effektivität dieser Methode wurde bereits bei einigen Schädlingen, wie dem Kartoffelkäfer, bestätigt. RNA ist aber sehr empfindlich und wird rasch in der Umwelt und in den Pflanzenzellen abgebaut, sodass sie mit speziellen Formulierungen geschützt werden muss. Dafür werden derzeit verschiedene Möglichkeiten und Substanzen erforscht, zum Beispiel biologisch abbaubare Polymere wie Chitosan oder Ton-Mineralien.
Bevor jedoch ein solches, neuartiges Pflanzenschutzmittel auf den Markt gelangt, sind umfassende Sicherheitsbewertungen und eine Risikoabschätzung notwendig, um eine Unbedenklichkeit zu bestätigen. Bei allen Vorteilen dieser neuen Methode – ein natürlicher, biologisch abbaubarer Wirkstoff, der nur auf eine bestimmte Schädlingsart wirkt – sind mögliche Risiken und allfällige Gefährdungen von Nicht-Zielorganismen abzuklären. Zum Umweltverhalten der neuen Materialien, sowohl des RNA-Wirkstoffs als auch der Substanzen, die zu ihrem Schutz eingesetzt werden, ist jedoch noch wenig bekannt. Hier sind noch weitere Untersuchungen notwendig. Eine Anpassung der Richtlinien und Bestimmungen für eine Zulassung von RNA als Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln in der EU ist ebenfalls wahrscheinlich notwendig und sinnvoll, da sich der Wirkstoff erheblich von den konventionellen chemisch-synthetischen Pestiziden unterscheidet.