Gefahr ist nicht gleich Risiko 

Ob von Nanomaterialien ein Risiko für die Umwelt ausgeht, hängt nicht allein von der Toxizität (Gefährlichkeit) des betreffenden Materials ab, sondern auch von der Exposition, also von der Menge, die in die Umwelt freigesetzt wird. Beispiel: eine Giftschlange ist zwar sehr giftig (gefährlich), wenn sie uns jedoch nicht beißen kann, da sie im Zoo hinter Panzerglas lebt, kann sie ihr Gift nicht freisetzen (kein Risiko für uns).

 

Wissenslücken bestehen

Derzeit gibt es keine eindeutigen Hinweise darauf, dass Nanomaterialien eine signifikante Gefährdung für die Umwelt darstellen. Allerdings bestehen noch große Wissenslücken:

Beispielsweise müssen geeignete Mess-Methoden zum Nachweis von Nanopartikeln und deren Eigenschaften in komplexen Umweltmedien, wie z. B. Wasser und Boden, erst noch entwickelt werden. Der derzeitige Mangel an Daten ist ein großes Hindernis für die realistische Gesamteinschätzung des Verbleibs und des Verhaltens von Nanomaterialien in der Umwelt. Eindeutige Aussagen, ob Umweltschäden auftreten können oder nicht, sind daher derzeit kaum möglich.

 

Und was nun?

Forschungsprogramme sollen dazu beitragen, vorhandene Wissenslücken bei der Bewertung der Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen von Nanomaterialien zu schließen. Auch im Österreichischen Aktionsplan Nanotechnologie wurde diesem Bereich ein eigener Schwerpunkt gewidmet (EHS-Programm). Solange noch Wissenslücken bestehen, sollte bei Nano-Anwendungen, wo eine mögliche Gefährdung nicht auszuschließen ist, das Vorsorgeprinzip angewendet werden.

 

Toxizität von künstlichen Nanomaterialien

In einem Factsheet fassen die europäischen Umweltorganisationen CIEL (Center for International Environmental Law), ECOS (European Environmental Citizens Organisation for Standardisation) und Öko-Institut e.V. (Institut für angewandte Ökologie) Informationen zur Toxizität von künstlichen Nanomaterialien, zu Definitionen und zur Risikoabschätzung zusammen.

 

Aus Sicht der NGOs lässt sich der derzeitige Wissensstand wie folgt zusammenfassen:

  • Nanomaterialien zeigen andere toxikologische Eigenschaften als dieselben Substanzen in größerer Form.
  • Eine Freisetzung von künstlichen Nanomaterialien (ENMs) in die Umwelt kann in jeder Phase des Lebenszyklus eines Produkts erfolgen - bei der Herstellung, dem Transport, der Gebrauchsphase, der Abfallbehandlung und der Entsorgung.
  • Die Form der Freisetzung von ENMs und deren Umwandlung in der Umwelt bestimmt die Exposition sowohl von Organismen in der Umwelt als auch des Menschen.
  • Die toxischen Auswirkungen hängen von der Art der ENMs und von der aufgenommen Dosis (wie viel für wie lange) ab.
  • Die Toxizität wird eher von der Partikelanzahl und der Gesamtoberfläche als von der Menge bestimmt.
  • Der Kenntnisstand zur Toxizität von ENMs ist noch immer unzureichend. Insbesondere sind Langzeit-Umwelteffekte und chronische Auswirkungen auf die Gesundheit unbekannt.
  • Standards sind unabdingbar für das Risikomanagement und müssen deshalb parallel zum Innovationsprozess entwickelt werden.

 

Freisetzung von Nanomaterialien in die Umwelt

Ob durch ein bestimmtes Nanomaterial ein Umweltrisiko besteht, hängt nicht nur von dessen Gefährlichkeit ab, sondern auch von der Menge, die in die Umwelt freigesetzt wird (siehe oben). Erst wenn ein bestimmter Schwellenwert überschritten wird, kann eine Umweltgefährdung eintreten. Für eine Risikoabschätzung ist die Kenntnis der Umweltexposition also unerlässlich. Allerdings gibt es bislang noch keine analytischen Methoden um die Menge an synthetischen Nanomaterialien in der Umwelt messen zu können, das gilt vor allem für Böden und Sedimente. Zudem ist es nicht möglich, in Umweltproben zwischen künstlich hergestellten und natürlich vorkommenden Nanomaterialien zu unterscheiden.

Modellberechnungen sind bislang der einzige Weg um Umweltkonzentrationen von synthetischen Nanomaterialien zu ermitteln. Die verwendeten Modelle gingen aber bisher von der vereinfachten Annahme aus, dass alle in einem Jahr produzierten und in Produkten eingesetzten Nanomaterialien auch im selben Jahr in die Abfallströme und die Umwelt wieder freigesetzt würden.

Nicht berücksichtigt wurde dabei, dass viele Nanomaterialien während der Nutzungsphase eines Produktes über einen längeren Zeitraum gebunden bleiben. Während etwa Nano-Titandioxid in einer Sonnencreme innerhalb kurzer Zeit in die Umwelt (z. B. Abwasser) freigesetzt wird, gelangt dieses Material etwa aus einer Fassadenfarbe erst nach Jahrzehnten, z. B. wenn ein Haus abgerissen wird, durch die Abfallströme in die Umwelt.

Schweizer ForscherInnen der EMPA haben nun ein Berechnungsmodell weiterentwickelt mit dem der zeitversetzten Freisetzung von Nanomaterialien aus Produkten in die Umwelt Rechnung getragen wird. Mit diesem auf Wahrscheinlichkeit basierenden dynamischen Materialflussanalyse-Modell wurde die zu erwartende Umweltkonzentration von Nano-TiO2, Nano-ZnO, Nanosilber und Kohlenstoffnanoröhrchen (CNT) berechnet. Nano-TiO2 zeigte dabei wesentlich höhere Werte als die anderen drei Nanomaterialien. Für Sedimente wurden in einem "Worst-Case"-Szenario Konzentrationen von 6,7 µg/kg für CNTs und 40.000 µg/kg für Nano-TiO2 berechnet. Für die Rückstände aus Müllverbrennungsanlagen ergab sich in den meisten Fällen eine Konzentration im Bereich von Milligramm/Kilogramm.

Die in der Arbeit der Schweizer Forscher vorgelegten Daten der zu erwartenden Umweltkonzentrationen können nun als Grundlage für weitere ökotoxikologische Studien und der Risikoabschätzung dienen.

 

Nanoplastik im Schnee der Alpen

In einer Studie unter Beteiligung des Schweizer Forschungsinstituts EMPA, der Universität Ultrecht und der österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) wurde untersucht, wie viel Nanoplastik-Teilchen im Schnee auf dem über 3000 Meter hohen Berggipfel des Sonnblicks im Nationalpark Hohe Tauern zu finden sind.

Mit dieser Untersuchung wurde wissenschaftliches Neuland betreten, denn die Verbreitung von Nanoplastik durch die Luft ist weitgehend unterforscht. Im Spätwinter 2017 wurden 1,5 Monate lang Schneeproben an derselben Stelle in unmittelbarer Nähe des Observatoriums der ZAMG entnommen. Zur Zählung der Plastikteilchen wurde von den ForscherInnen ein eigenes Verfahren entwickelt, das die Verunreinigung der Proben mit einem Massenspektrometer bestimmt.

Die Ergebnisse zeigen, dass im Mittel etwa 42 kg Nanoplastik pro Quadratkilometer und Jahr durch die Luft auf die Alpen transportiert werden. Hauptsächlich wurden die Kunststoffarten Polypropylen und PET festgestellt.

Der Ursprung der Nanoteilchen wurde mit Hilfe von Europäischen Wind- und Wetterdaten nachverfolgt. Rund 30 Prozent der Nanoplastik-Partikel auf dem Berggipfel stammen demnach aus dicht besiedelten, städtischen Bereichen in einem Umkreis von 200 Kilometern. Die Ergebnisse der Studie legen aber auch nahe, dass etwa 10 % der Partikel aus einer Entfernung von mehr als 2000 km stammen. Sogar Teilchen aus den Weltmeeren gelangen offenbar über die Gischt und Wellen in die Luft, denn es wurden Plastikpartikel gefunden, die aus dem Atlantik in über 3000 Kilometer Entfernung auf den Berg geweht wurden.

Neben Plastikteilchen enthielten die Proben auch andere Verunreinigungen wie Saharasand und Abrieb von Bremsbelägen. Ob diese Form der Luftverschmutzung eine gesundheitliche Gefährdung darstellt, ist bislang unklar. Allerdings können Nanopartikel durch die Atmung aufgenommen werden und in den menschlichen Blutkreislauf gelangen. Weitere Messungen von Nanoplastik in Städten, ländlichen und entlegenen Gebieten sind jedenfalls notwendig, um das Ausmaß der Verschmutzung abschätzen zu können.

Quelle:
In den Alpen schneit es Plastik. EMPA. 18.1.22.